Kinderrechte ins Grundgesetz

Kinderrechte sind im Grundgesetz zu verankern

Die Jusos Thüringen fordern, die Prinzipien der Rechte von Kindern und Jugendlichen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gemäß der UN-Kinderrechtskonvention im Grundgesetz (GG) zu verankern.

Kinder sind Träger von Rechten, sie sind Wesen mit eigener Menschenwürde und einem eigenen Recht auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Das Bundesverfassungsgericht hat dies in der Vergangenheit bereits mehrfach festgestellt. Dennoch geht das aus dem Grundgesetz nicht hervor. Kinder sind im Grundgesetz lediglich als Bezugspunkt des Elternrechts, also als Objekte elterlicher Verantwortung, in Artikel 6 Absatz 2 und 3 GG erwähnt. Es gilt deshalb klarzustellen, dass unterschiedliche Schutzmechanismen das jeweilige Alter und den individuellen Entwicklungsstand von Kindern und Jugendlichen zu berücksichtigen haben.
Kinder sind nur bedingt eigenständig, weil sie auf Unterstützung durch andere angewiesen sind. Deshalb brauchen sie ein spezielles Kindergrundrecht, dass ihre besondere Stellung unterstreicht. Daraus muss deutlich erkennbar sein, dass die Rechte und das Wohl des Kindes bei allen es betreffenden Entscheidungen Vorrang hat.

Kinderrechte sind in vielen Gesetzen geregelt. Wir Jusos wollen, dass sie zusammen mit den wesentlichen System- und Werteentscheidungen ausdrücklich im Grundgesetz formuliert werden. Denn die Regelungen im Grundgesetz werden von Gesetzgeber, Verwaltung und Gerichten regelmäßig herangezogen. Die Grundrechte im GG sind die Basis unseres Rechtssystems. Kinderrechte müssen Verbindlichkeit erhalten, zu greifbaren Instrumenten in jeder Lebenssituation werden und gleichrangig neben anderen Grundrechten stehen. Damit wären Kinderrechte einklagbar. Kinder würden mit abnehmender Bedürftigkeit und wachsender Einsichtsfähigkeit an allen sie betreffenden Entscheidungen beteiligt werden. Jedes Kind hätte Anspruch auf Gehör und Berücksichtigung seiner Meinung. Die Jusos Thüringen unterstützen aus den genannten Gründen den Vorschlag der SPD-Bundestagsfraktion, Artikel 6 GG um einen neuen Absatz zu ergänzen, der die Bestimmungen enthält:

„Jedes Kind hat ein Recht auf Entwicklung und Entfaltung seiner Persönlichkeit, auf gewaltfreie Erziehung und den besonderen Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung. Seine Meinung ist entsprechend seinem Alter und seiner Entwicklung in angemessene Weise zu berücksichtigen. Die staatliche Gemeinschaft achtet, schützt und fördert die Rechte des Kindes und trägt Sorge für kindergerechte Lebensbedingungen.“ Zudem ist die Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Kindern gesetzlich zu verankern.

Mit der Verankerung der Kinderrechte im GG werden die Rechte und die Interessen von Kindern gegenüber dem Staat gestärkt. Auch die Rechte der Eltern erfahren eine Aufwertung, denn sie sind es, die die Interessen ihrer Kinder im Alltag vertreten und deren Rechte wirksam durchsetzen.

Der Vorrang des Kindeswohls verdeutlicht die Verantwortung von Staat und Eltern, sich bei der Wahrnehmung ihrer Rechte und Pflichten gegenüber Kindern an Kinderrechten zu orientieren. Dies bezieht sich auf Entscheidungen von Behörden, z.B. bei der Planung von Wohnvierteln, beim Straßenbau oder der Ausgestaltung des Lehrplans sowie Entscheidungen der Eltern für eine bestimmte Betreuungsform oder Schulbildung. Der Staat wird in die Pflicht genommen, Verantwortung zu tragen für kindergerechte Lebensverhältnisse und gleiche Entwicklungschancen.

Das Bekenntnis von einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Deutschen Bundestag und Bundesrat für Kinderrechte im Grundgesetz wäre ein deutliches Signal, dass alle diese Aufgabe sehr ernst nehmen und die Lebenswirklichkeit von Kindern weiter verbessern wollen.

Einrichtung von Ombudsstellen zur Beratung von Kindern und deren Familien bei jedem örtlichen öffentlichen Träger der Kinder-und Jugendhilfe.

Die Jusos Thüringen fordern die Einrichtung von Ombudsstellen bei jedem örtlichen öffentlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe im Einvernehmen mit dem jeweiligen Jugendhilfeausschuss. Die Ombudsstellen sollen regelmäßige Sprechstunden in Anlaufstellen der Wohnsitzgemeinden (z.B. Kinderbüros, Kinder- u. Jugendzentren) gewährleisten und sich für die Wahrnehmung und Umsetzung der Interessen der Kinder einsetzen.
Bei der erforderlichen Novellierung des SGB VIII ist dieses Angebot als Pflichtleistung zu verankern.

Einberufung einer/eines unabhängigen Kinderrechtsbeauftragten des Bundes

Zur besseren Koordinierung der Anlaufstellen und Vertretung beim Bund fordern die Jusos, die Ernennung einer/eines unabhängigen Kinderrechtsbeauftragten auf Bundesebene.

Die/Der Kinderrechtsbeauftragte erhält die Kernaufgaben und Befugnisse,

  • aktiv darauf hinzuwirken, dass sich Bundestag und Bundesregierung bei allen Gesetzesvorhaben und Entscheidungen, die Kinder und Jugendliche betreffen, von der UN-Kinderrechtskonvention und den Stellungnahmen des UN-Kinderrechtsausschusses leiten lassen;
  • auf die Verletzung oder mangelnde Beachtung der Kinderrechte durch staatliche Behörden aufmerksam zu machen und auf Abhilfe zu drängen;
  • durch Öffentlichkeitsarbeit und Initiativen zur Kinderrechtsbildung die gesellschaftliche Einstellung gegenüber Kindern zu verbessern und ein Umfeld zu fördern, dass die Verwirklichung der Kinderrechte begünstigt;
  • den Stimmen und Sichtweisen der Kinder Gehör zu verschaffen, die Teilhabe von Kindern in der Gesellschaft zu fördern und gleiche Beteiligungsmöglichkeiten für benachteiligte Gruppen von Kindern anzustreben;
  • in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für Menschenrechte sowie anderen wissenschaftlichen Einrichtungen sicherzustellen, dass Daten über die Lage der Kinder erhoben und publiziert werden;
  • den Deutschen Bundestag und die Öffentlichkeit jährlich über die eigenen Aktivitäten und Ergebnisse zu informieren.

Die/Der Kinderrechtsbeauftragte erhält die Befugnisse:

  • der Akteneinsicht, sowie weitere Einsichts- und Anhörungsrechte, um von den staatlichen Behörden sämtliche für die Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen einholen zu können.
  • Ein Amtshilferecht, um Beschwerden von Kindern gegenüber Bundesbehörden, Bundesgerichten und dem UN-Kinderrechtsausschuss bzw. dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte rechtlich vertreten zu können.

Für die Erfüllung ihrer/seiner Aufgaben, erhält die/der Kinderrechtsbeauftragte in einer spezifischen Haushaltsstelle des Bundes bedarfsgerecht Mittel.

In Abstimmung mit den Ländern und Kommunen ist deren Zusammenarbeit mit der/ dem Kinderrechtsbeauftragten des Bundes zu definieren.

Stärkung der Kinder- und Jugendarbeit in den Kommunen und auf Landesebene

Für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen auf allen gesellschaftlichen Ebenen, sind die gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen. Die dafür nötigen Strukturen, z. B. in der Kinder- und Jugendhilfe, im Bildungssystem oder im öffentlichen Freizeitbereich sind bereitzustellen sowie der Zugang für Kinder und Jugendliche zu sichern.

Die Landes- und Kommunalfinanzen sind derart zu gestalten, dass die Aufgaben von Ländern und Kommunen zur Unterstützung und Stärkung der Beteiligung, der Selbstorganisation von und der Angebote für Kinder und Jugendliche, bedarfsgerecht verlässlich und langfristig als Pflichtleistungen der Kommunen und des Landes gewährleistet werden.
Die Jusos Thüringen fordern deshalb, einen bedarfsgerechten Anteil in Höhe von mindestens 10 % aller im Rahmen des SGB VIII eingesetzten Finanzmittel für die zuvor genannten Zwecke – im jetzigen Rechtsrahmen des SGB VIII insbesondere die §§ 11, 12 – festzuschreiben.

Begründung

Mit der Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention vor mehr als 25 Jahren hat sich die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, wesentliche Standards zum Schutz, zur Förderung und Beteiligung von Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahre einzuhalten.

Kinder sind die Zukunft und müssen geschützt werden. Leider müssen wir heute feststellen, dass es nicht zur vollständigen Umsetzung der UN-Kinderrechtskommission in Deutschland gekommen ist.
Kinderärzte, Sachverständige in Umgangsstreitigkeiten, Jugendämter, Kinderschutzorganisationen und Anwälte berichten von konkreten Fällen, in denen Kinderrechte nicht oberste Priorität hatten. Zudem konstatieren wir immer noch ungleich verteilte Bildungschancen und Kinderarmut in Deutschland. Auch müssen Kinder mit Behinderungen immer wieder dafür kämpfen, dass ihnen die zustehende Bildung und Beteiligung zuteilwird. Kinder mit Migrationsgeschichte in der Familie und Kinder aus armen Familien unterliegen nicht selten bewussten oder unbewussten strukturellen Ausgrenzungsprozessen. Flüchtlingskindern bleiben ihre elementaren Rechte auf voll umfängliche Gesundheitsversorgung, Schutz und Bildung noch an vielen Stellen verwehrt. Schilder mit der Aufschrift „Kinderwagen-Verbot“ oder „kinderfreie Zone“ sind keine Seltenheit und es kommt vor, dass Eltern mit lebhaften Kindern aus Restaurants geworfen werden. Im Alltag sind „Kinderrechte haben“ und „Kinderrechte durchsetzen“ zwei Paar Schuhe.
Leider ist es immer noch so, dass Kindern und Jugendlichen Rechte vorenthalten und sie nicht als Träger eigenständiger Rechte wahrgenommen werden.

Auch das Deutsche Kinderhilfswerk kritisiert, dass Kinderrechte in Deutschland trotz UN-Kinderrechtskonvention immer noch ein Schattendasein fristen.
Die Kinderhilfsorganisation Terre des Hommes appellierte zum diesjährigen Ratifizierungsjubiläum der UN-Kinderrechtskonvention, dass Kinderrechte den Verbindlichen Charakter von Grundrechten bekommen müssen – sie dürften nicht länger Gegenstand allgemeiner Erklärungen sein.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte konstatierte, dass es derzeit in Deutschland lediglich in rund 100 Kommunen Kinderbeauftragte oder Kinderbüros gebe, die Aufgaben einer Anlaufstelle übernehmen. Angesichts von 11.000 Kommunen sei die Zahl stark ausbaufähig. Die Einrichtung von Ombudsstellen würde hier Abhilfe leisten.

Das sind nur einige Szenarien, die zeigen, dass Kinderrechte wie sie die UN-Kinderrechts-Charta vorgibt, nicht vollumfassend in Deutschland umgesetzt sind. Deshalb ist ein gesamtgesellschaftliches Umsteuern nötig. Kinder und Jugendliche spielten bis heute im Grundgesetz nur eine Nebenrolle. Sie müssen aber zu Hauptpersonen werden.
Kinderrechte im Grundgesetz würden helfen, die Rechte von Kindern auch tatsächlich zur Geltung zu bringen.

Ziel muss es sein, die Ursachen für die hohe Zahl der Kinder, die in Armut aufwachsen, zu reduzieren. Besonders kritisch zu sehen sind die in den Hartz-IV-Gesetzen vorgeschriebenen Sanktionen, in deren Folge Kinder nicht selten unterhalb des Existenzminimums leben müssen.

Kinder- und Jugendeinrichtungen sind bedarfsgerecht mit angemessenen finanziellen und personellen Mitteln auszustatten, denn das ist die Voraussetzung dafür, dass die Familien mit sozialen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten sowie Familien mit Migrationshintergrund die Hilfe erhalten, die sie benötigen. Auch ist die Bekämpfung von Diskriminierung, vor allem gegen Kinder mit Behinderung oder Migrationshintergrund und minderjährige Geflüchtete dringend notwendig.
Eine Festschreibung der Kinderrechte im GG würde nicht nur den Schutz vor wiederholten Misshandlungen stärken, die Verankerung würde auch helfen, Beschwerden z. B. wegen Kinderlärm abzuwehren oder die Sicherheit im Straßenverkehr durch Zebrastreifen, Ampeln und Tempolimits erhöhen.

Neben der Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz ist es erforderlich, eine zentrale mit angemessenen finanziellen Mitteln und hinreichenden Befugnissen ausgestattete Institution zur Koordinierung und Steuerung der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention einzusetzen. Dies geschieht durch einen/eine unabhängige Bundesbeauftragte zur Umsetzung der Kinderrechte.

Die unabhängige Institution kann die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention auf Bundes-, Landes-, und kommunaler Ebene unterstützen und ermächtigt sein, Beschwerden über eine Verletzung von Kinderrechten entgegennehmen und behandeln.

Mit der Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz können wir dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche endlich den Stellenwert in unserer Gesellschaft bekommen, der ihnen zusteht.

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